Postkarten

Der Abenteurer und der Missionar 


«Abenteuer» und «Missionar!» Diese Wörter leuchteten als Bilder vor meinen Augen, als mir die Möglichkeit angeboten wurde, an einem Projekt für den Aufbau des dualen Bildungssystems für Schreiner in Jaipur mitzuarbeiten. Abenteuerlich für mich die Vorstellung, das erste Mal raus in die grosse Welt zu gehen mit der Verpflichtung, mehrere Monate pro Jahr in Indien zu leben. Habe ich mich doch bis anhin noch nie ausserhalb von Europa aufgehalten, habe hier eine wunderbare Frau, Familie und Freunde und habe im Heisch ein malerisches Zuhause. Eigentlich ist alles da. Missionarisch erschien mir der Gedanke, als Schreiner den Indern die Schweizer Schreinerlehre als das einzig Wahre zu predigen.
Wie auch immer: «Entweder du springst oder du springst!»


Nach der Landung in Jaipur fahren wir direkt in die Innenstadt zu einem Meeting in den siebten Stock. Während des Meetings schweift mein Blick über die mir neue Umgebung, in der ich mich bereits zwei Wochen nach der Anfrage wiederfinde. Kleine Drachen am Himmel über der Stadt empfangen mich als persönliches Begrüssungskomitee. Mein erster Eindruck ist also luftig, frei und spielerisch.
Anfang Januar findet das Drachenfest statt. Jung und Alt nehmen mit kleinen Papierdrachen am Wettbewerb teil. Mir scheint, sie messen sich im gegenseitig Drachenschnüre kappen. Die feinen chinesischen Glasfaserschnüre sind so fein und scharf, dass sich jedes Jahr gravierende Unfälle mit Töff- und Radfahrern ereignen, die von den feinen Schnüren beinahe geköpft werden.


Mein zweiter Eindruck von Indien könnte den Titel tragen: «Ihre Heiligkeit frisst Dreck». Kühe treffe ich überall. Sie haben stets Vortritt, auch auf der Autobahn. Und sie pinkeln auch gerne mal einen Meter vor dem Essensstand auf den Boden. Die Kühe sind heilig und dürfen das.
Warum leben diese Inder inmitten ihres Mülls und bieten ihren Heiligkeiten und sich selber diesen Umstand als mögliche Todesursache an? Sicherlich ist Müllfressen nicht gesund, auch nicht für Heiligkeiten.
Wenn du vom Plan erzählst, nach Indien zu gehen, wirst du, auch ungefragt, mit mannigfaltigen Tipps und Hinweisen zum Verhalten zugedeckt. Auch wenn die Ratschläge nur vom Hörensagen bekannt sind. Gut, als Indien-Greenhorn sind einige Hinweise durchaus hilfreich. Ich ziehe es jeweils vor, selbst zu schauen was da ist. Auch wenn das möglicherweise Durchfall nach sich zieht.


Wo ist Indien in mir? Für diesen Lebensabschnitt habe ich mir eine Sony Alpha 6000 gekauft. Eine leichte Reisekamera, die ich meistens bei mir trage. Die Sicht durch das Objektiv fokussiert den Blick auf das Gesehene. Sie bietet mir die Möglichkeit genau hinzuschauen, was da ist. Damit die Bilder nicht auf der Festplatte vergilben, publiziere ich diese auf den Fotoblog  «timephoto – the magic eye».

Gastblogger:

Karl Bruno Zehnder (*1967 in Zug), verheiratet mit Cornelia, Vater von vier Jungs in der Ausflugsphase, Schreiner und Berufsschulfachlehrer, wohnt im Heisch und Jaipur Indien.

10 Comments

  1. Marlies Liem says

    Ja, so ist Indien! Kann generell nicht verstehen, dass man im Dreck leben kann. Das ist in anderen asiatischen Ländern – auch ohne Kühe auf der Strasse -nicht viel anders.
    Danke für interessanten Bericht!

  2. Franziska Hidber says

    Toller Bericht und feines Projekt. Ähnliche Projekte gibt es auch in Sri Lanka, Afrika und Indonesien. Ich finde es grossartig, wenn das Schweizer Schreinerhandwerk die weite Welt erobert.

  3. Wunderbarer Beitrag, lieber Karl! Ich bin gespannt, was Dir und Deiner Sony Alpha weiterhin für spannende Motive in Indien vor die Linse laufen. Auch die Fragen, die man sich stellt, wenn man in Indien ist regen sehr zum Nachdenken an. Grad die Kühe sind so ein Thema nicht wahr? Wie überleben die das? Essen Pappe und Abfälle, Gras gibt es ja keines. Man sagt doch immer, jemand habe einen Rossmagen, aber ich finde eher, man sollte sagen, man habe einen Kuhmagen :-)) – wobei: unsere Schweizer Kühe haben zwar Gras ohne Ende, aber sterben tun sie trotzdem – am Abfall, den hirnlose Autofahrer aus dem Fenster werfen….

  4. Cornelia says

    Lieber Ehemann
    Deine Bilder sind wunderbar und ich freue mich bald mit dir Indien zu entdecken.
    Cornelia

  5. Thomas says

    Mir wurde mal gesagt, dass in Indien “das Leben tobt”. Scheint ganz der Fall zu sein. Was ich nicht genau verstehe: Warum magic eye? es ist doch dein Auge, zum genau hingucken und nicht Photos, die die Magie sucht…

    • Wir alle haben magic eyes! Für mich ist die Linse lediglich ein Steckepferd, den Moment bewusst optisch wahrzunehmen. Eine meiner Beobachtungen bis anhin, dass mir die Menschen in Indien vielfach direkt in die Linse gucken. Ich vermute mal, da sind Sinne geschult, die bei uns Europäern eher kümmerlich ausgebildet sind.

  6. Günter Garger says

    Lieber Karl, ich finde dein Engagement grandios! Herzensgrüsse aus Wien.

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