Das kalorienreiche russische Frühlingsfest Maslenzia ist ein bunter Mix aus Wintervertreibung, Völlerei und Volksparty. Während der Butterwoche verdrückt man unzählige Blinis (Crèpes), verbrennt mit der Masleniza-Puppe sämtliche Sorgen, bittet alle um Verzeihung – und ist dann bereit für die siebenwöchige Fastenzeit.
Die Zürcher haben den Böög, die Toggenburger den Funkensonntag – und die Russen Masleniza. Der uralte Brauch der Butterwoche vor Beginn der Fastenzeit feiert sein Comeback und wird ausgelassener gefeiert denn je. Die beiden wichtigsten Zutaten: Blinis und die Masleniza-Puppe, die am Ende der Butterwoche am Sonntagabend angezündet wird, sieben Wochen vor dem russisch-orthodoxen Osterfest.Dass man mit dem Feuer den Winter vertreiben will, leuchtet ein. Aber wie passen die Blinis ins Bild? Die St.Petersburger Reiseleiterin Irina Nechaeva hat die Antwort: “Blinis sind wie fröhliche kleine Sonnen, sie symbolisieren den Frühlingsbeginn. Ausserdem waren früher die Regeln in der ersten Fastenwoche sehr strikt: Fleisch und Fisch waren verboten, Butter, Milch, Eier und Rahm hingegen erlaubt. So boten sich die Blinis geradezu an.” Irina lacht: “Die Blinis zu Masleniza haben alles überlebt – die Christianisierung, den Stalinismus, die Demokratie.”
Auch bei Irina kommen in der Butterwoche selbstgemachte Blinis auf den Teller, hier mit Kaviar- und Sauerrahmfüllung.Ihre Freundin Galina Sausheva (links) kennt unzählige Rezepte, die meisten werden seit Generationen überliefert.
Wer jetzt denkt, ein Blini zu backen sei keine Kunst, irrt.
“Der Teig muss so dünn sein, dass man durch ihn Zeitung lesen kann”, sagt Koch Arthur Amosov in der Kochschule Krasivo podano in St.Petersburg, was übersetzt “schön serviert” bedeutet.Und siehe da, selbst Arthur, immerhin Chefkoch im geschichtsrächtigen St.Petersburger Literaturcafé, fabriziert zum Auftakt einen so genannten “Schneeball”. Er grinst: “Erste Blinis sind immer Schneebälle”, kratzt die ausgefranste Masse zusammen und lässt elegant eine zweite Portion Teig in die Pfanne gleiten, dass es zischt. Das zweite Blini schaut dann perfekt aus – so will es das Gesetz. Arthur hat – wie fast alle Leute in Russland – die Blinikunst von seiner Grossmutter gelernt.
Und nun weiht er mich in die hohe Schule der Bliniherstellung ein. Unter Arthurs Fittichen gelingt mir tatsächlich ein hübsches Blini-Säckchen mit Kirschenfüllung sowie eine Blini-Hackfleisch-Rolle – ohne Schneeball, notabene.
Denn während der Butterwoche werden Blinis in allen Varianten gegessen, sehr typisch ist die Füllung mit Kaviar und Sauerrahm, oder dann süss mit Beerenmus, Confi und Honig.
Früher, so erzählt Irina, habe während der Butterwoche ein strenges Regime geherrscht.
Am ersten Tag verschenkte man die Blinis an Bettler und Arme.
Am zweiten Tag zogen ledige Männer durch die Gegend und suchten sich eine Braut.
Am dritten Tag mussten potenzielle Schwiegertöchter ihre Fähigkeiten in Sachen Blini vor der ganzen zukünftigen Verwandtschaft beweisen. Die Regel war denkbar einfach: Ohne geniessbare Blinis gab es keinen Bräutigam.
Am vierten Tag ass man die Blinis im Kreis der eigenen Verwandten.
Am fünften Tag waren die Schwiegermütter aufgefordert, ihre Schwiegersöhne zum fröhlichen Blinischmaus einzuladen.
Am Samstag traf man die restlichen Verwandten und ass gemeinsam – Überraschung! – Blinis.
Am Sonntag – das ist bis heute so geblieben – wird die Masleniza-Puppe angezündet. Danach fällt man sich in die Arme und bittet um Verzeihung für alle grösseren und kleineren Vergehen während des Jahres. Und natürlich werden auch am Sonntag überall Blinis kredenzt.
Heute sind die starren Regeln längst aufgeweicht. Dafür verwandeln sich grössere Städte ab Donnerstag in einen einzigen Jahrmarkt mit Musik, Tanz und Wettbewerb sowie kulinarischen Köstlichkeiten aus nah und fern.Überall kann man kleine Masleniza-Puppen kaufen – sie werden als eine Art Sorgenpüppchen ins Feuer geworfen und verbrannt. Dieser Brauch hat sich laut Irina aber erst in den letzten Jahren entwickelt.
Sehr beliebt sind Tanzshows und Folklore.
Im Sommergarten geben sich am Masleniza-Sonntag Stadtgründer Peter der Grosse und Katharina die Erste die Ehre.
Farbenfroher Kitsch lockt an jeder Ecke.
Man kann sogar eine Lebkuchen-Masleniza verzieren, selbst ohne Talent. (Gar nicht so einfach mit diesen Spritzsäckchen, im Fall.)
Im Leisure Park auf der Elagin-Insel vor St. Petersburg ist der Publikumsaufmarsch am frühen Sonntagabend riesig. Alle wollen dabei sein, wenn die Masleniza-Puppe brennt. Und das, obwohl das Fernsehen “schlechte Nachrichten” verkündet.
Keine zwanzig Minuten …… …dauert das Spektakel.
Es wird von lautstarken “Masleniza!”-Rufen begleitet.
Und ist dann schon wieder vorbei.
Oder doch nicht? Diese zwei dehnen das Ritual aus und verbrennen ihre eigenen Masleniza-Sonnen.Für alle, denen der Abschied von den butterhaltigen Blinis schwer fällt, gibt es nun wenigstens “Vermiss-Blinis”: Das ist die fastenzeitgerechte Schmalspur-Version – ohne Butter, ohne Eier, ohne Milch. Nur mit Wasser und Mehl. Aber immerhin sehen sie aus wie fröhliche Frühlingssonnen.
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Masleniza wird in ganz Russland gefeiert, jeweils sieben Wochen vor dem russisch-orthodoxen Osterfest, also zwischen Mitte Februar und Mitte März. Heuer fand die Butterwoche vom 20. bis 26. Februar statt.
St. Petersburg ist in rund drei Flugstunden ab Zürich zu erreichen, Swiss fliegt mehrmals pro Woche nonstopp. Städtetrip-Arrangements gibt es bei Kontiki Reisen.
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Zur ausführlichen Reportage über die Butterwoche 2016 in St. Petersburg geht es hier:
http://www.nordland-magazin.ch
Ganz wundervoll, liebe Franziska. Danke! Ich hatte noch nie zuvor davon gehört.
»mittwochs.ch« lesen bildet! – Und macht hungrig. 😉
Danke, liebe Fatima. Die “Butterwoche” ist ausserhalb Russlands nahezu unbekannt, das stimmt. Dabei ist sie so schmackhaft;-)
Liebe Franziska,
Ich bin immer wieder fasziniert, was Du auf Deinen Reisen alles lernst und uns als Geschenk mitbringst! Deine Fotos und Berichte aus Ländern, in die ich wahrscheinlich nie kommen werde, berühren mich immer sehr. Du trägst zu unserer Horizonterweiterung bei und zeigst uns immer wieder, dass in jedem Land der Welt ganz normale Menschen leben (und nicht nur Politiker), die ihre Feste feiern und geniessen, wie wir auch! Und ich würde gerne mal von Dir zubereitete Blinis essen…. 😋
Was für ein Lob! Ich bin sicher, du übertreibst masslos, aber danke, danke vielmals. Und du wirst deine Blinis bekommen!
Oh, wirklich? Hey das ist grad nochmals der Hammer!! Und nein, das ist gar nicht übertrieben, was ich zu deinem Beitrag geschrieben habe, sondern genauso gemeint…. 😍
Schöne, originelle Bilder.
Danke, Markus. Du weisst ja: Bilder mit dem gewissen Anspruch ans Publikum;-)